Seit Tagen beobachte ich schon den Wetterbericht für Sonntag in Imst. Ständig ändert er seine Meinung. Am Freitag sind sich dann aber alle Vorhersagen einig, dass Vormittag zwar kühl bei um die 10°C werden soll, aber trocken. Ich habe mich schon lange für Tour B angemeldet. 90 km und 1200 Hm mit zwei ordentlichen Anstiegen. Mit Hotel buchen habe ich bis zuletzt gewartet. Bei Regen habe ich keine Lust zu fahren, nicht schon wieder. Also im Hotel Eggerbräu angerufen, ob noch was frei ist und gleich reserviert. Das ist ein Vorteil von kleineren Radmarathons, dass man zwei Tage vor dem Start noch ein Zimmer 200 m vom Startbereich entfernt bekommt. Samstag Abend angereist und freudig überrascht festgestellt, dass es Frühstück schon ab 6:00 Uhr gibt. Start ist um 7:30 Uhr, das geht sich aus.
Am Sonntag wache ich noch vor dem Wecker auf. Ich höre ein Plätschern. Nein, das kann nicht sein, oder? Der Blick auf den Regenradar sagt zwei von drei möglichen Tropfen Regen bis 9:00 Uhr. Ich gehe auf den Balkon raus und denke, ich fahr wieder heim. Ich zieh mich an, geh Frühstücken und schau dann nochmal raus. Es nieselt nur noch leicht und hinten wird’s schon heller. Dann bleib ich halt doch da, wird schon nicht so schlimm werden. Also umziehen, Startnummer holen und fertig machen zum Warmfahren. Der Bus vom Rosenheimer Radlverein parkt drei Autos neben mir. Sind also noch ein paar Einheimische da. Es ist kühl, die Straße ist nass, aber es hat zumindest aufgehört zu regnen. Wie immer die Frage: Was zieh ich an? Ich entscheide mich dafür, die Knielinge wieder auszuziehen, die Armlinge anzulassen und die Weste kurz vor dem Start in die Trikottasche zu stopfen. Dann ist die Rumsteherei im Startblock nicht ganz so kalt und ich hätte zur Not was dabei, falls es doch wieder anfängt zu regnen. 7:10 Uhr Richtung Start. Verdammt, da stehen schon wieder viel zu viele vor mir. Geht aber noch. Wenn ich noch früher komme, kann ich mir das Warmfahren auch gleich sparen. Es wird wieder kalt mit der Rumsteherei, aber zum Glück nur noch 5 Minuten bis zum Start. Weste ausziehen. Und los geht’s.
Die ersten 12 km im Flachen will ich schauen, vorne mit dran zu bleiben, sonst ist der Zug gleich schon abgefahren. Das klappt ganz gut, auch wenn am Anfang mit 600 Leuten wieder eine Hektik herrscht und immer ein paar Irre auf den Gehsteigen überholen und sonstige Kamikazeaktionen hinlegen. Vorne stehen auch schon drei am Straßenrand und eine Flasche liegt mitten auf der Straße. Der erste Sturz. Das sagt mir nochmal: lieber bisschen vorsichtiger. Scheiße, da vorne geht eine Lücke auf. Keiner macht Anstalten, die zu zufahren. Jetzt sind es sicher schon 100 m. Also muss ich doch selber. Kopf runter, an den 20 Mann vor mir vorbei und rein in die Lücke. Das kostet Kraft. Nur noch 10 m und ich bin wieder dran. Geschafft.
Jetzt geht’s rein in den ersten Anstieg. Hier heißt es auch, gut drüber zu kommen, um vorne mit dabei zu bleiben, aber nicht zu überziehen. Die ersten werden schon langsamer. Ich fühle mich gut. Das wird gut heute. Nach knapp 20 Minuten sind wir oben. Jetzt die erste Abfahrt. Nicht gerade meine Stärke, aber ich schaffe es dranzubleiben. Macht ja eigentlich auch Spaß, den Berg wieder runter zu brettern. Und die Straße ist auch wieder einigermaßen trocken. Unten angekommen sind wir vielleicht noch 40 Mann in unserer Gruppe. Jetzt kommt das schönste Stück. Eine Dreiviertelstunde im Flachen in der Gruppe dahingondeln, zwischendurch was Essen und das ein oder andere Schwätzchen halten. Zum Glück habe ich es geschafft, in eine schnelle Gruppe zu kommen, die vorne Gas geben und ich mich hinten reinsetzen kann. Die Sonne kommt raus. Bin ich froh, dass ich doch nicht wieder heim gefahren bin.
Da vorne ist schon der Kreisverkehr, bei der sich Tour A und B aufteilen. Vielleicht 15 fahren mit mir geradeaus weiter. Da geht schon wieder eine Lücke auf. Die vorne geben Gas. Also wieder zu sprinten. Jetzt sind wir noch 8. Die Jungs machen jetzt richtig Druck. Nicht mehr weit bis zum zweiten Anstieg. Durch die Area 47 ist es ganz schon eng und kurvig und ganz schön viele Spaziergänger im Weg. Die ersten Wellen gehen los. Die Jungs rumpeln in den Berg rein, als gäbe es kein Morgen. Das wird doch nicht so gut heute. Lass sie fahren, so komm ich den Berg sonst nicht hoch. Also fahre ich einsam mein eigenes Tempo. Nach 10 Minuten habe ich mal wieder einen Blick weiter nach vorne. Die sind ja gar nicht weit weg. Der erste ist schon erledigt und steht quasi am Berg. Der zweite auch. Der Blaue mit der Boa Hose will es noch nicht wahrhaben und bäumt sich noch ein paar Mal auf. Ich kann es förmlich hören, wie es ihn zerreißt. Das wird doch gut heute. Noch ungefähr 5 Minuten bis oben und die anderen werden immer langsamer. Ich kann es kaum glauben, ich bin wieder vorne. Schnell was Essen und weiter geht’s. Bergab holen sie mich wieder ein, klar. Jetzt sind wir noch zu fünft. Dranbleiben. Der eine Gelbe fährt noch schlechter ab als ich. Noch 4. Das Rennen ist eröffnet. Ich schaffe es kaum, dran zu bleiben. Dafür muss ich fast nicht vorne im Wind fahren. Hat auch was. Wir sind unten und kommen nach Imst rein. Jetzt kommt gleich der Schlussanstieg. Ich schaue mir meine Kameraden an. Lauter dicke Beine und Carbonlaufräder. Beim Sprint hängen die mich alle drei ab. Für die steile Rampe sind sie zu schwer. Und die können nicht mehr. Hoffe ich zumindest. Ich könnte eine Chance haben. Ein kurzer Schreckmoment. Der eine Weiße vor mit geht aus dem Sattel und schiebt sein Hinterrad an mein Vorderrad. Ich kann mit gerade noch Fangen. Der hinter mir schimpft. Das hätte es gerade noch gebraucht, so kurz vor Schluss. 800m vor dem Ziel erhöhe ich langsam das Tempo. Der eine Weiße zieht mit. Jetzt wird’s richtig steil. Reintreten. Die Oberschenkel brennen. Ich schaue mich um. Da ist keiner mehr. Zähne zusammenbeißen, nur noch 30 m. Ich kann nicht mehr. Geht schon noch, nein geht nicht, doch geht. Geschafft. Der eine Weiße kommt 15 Sekunden nach mir ins Ziel. Der andere Weiße kurze Zeit später auch. Aber wo bleibt der Gelbe? Knapp eine Minute später ist auch er da. Wir gratulieren uns gegenseitig.
Erst mal bisschen ausrollen und runterkommen. Ich fahre zum Auto, trinke was und räume mein Zeug auf. Welche Platzierung ist das jetzt? Ich fahre zurück zum Zielbereich. Da hängt eine Liste mit den ersten 6 der Gesamtwertung. Ich bin nicht drauf. Das dauert ja ewig, bis endlich die neue Liste kommt. Ich hole mir in der Zwischenzeit meine Nudeln mit dem Gutschein. Lecker. Endlich, da hängt einer die Liste auf. 6. in meiner Altersklasse und 23. insgesamt. Hurra!
Martin Stadler